Islamismus in Deutschland

Ein großer Raum mit Glasfront von oben. Vor einer Bühne mit vier Personen sitzt ein großes Publikum. Daneben stehen Menschen an Stehtischen. Auf der Fensterfront steht "Leibniz". Dazwischen stehen Pflanzen.

Abschluss- und Transfertagung des RADIS-Forschungsnetzwerks

Nach über vier Jahren inten­siver For­schung präsen­tierte das RADIS-Forschungs­netzwerk seine Ergeb­nisse einem viel­fältigen Publi­kum aus Wissen­schaft, Fach­praxis, Medien und Poli­tik. Die Abschluss- und Transfer­tagung fand am 8. April in der Leibniz-Gemein­schaft in Berlin statt.

Eröffnet wurde die Kon­ferenz mit einem Gruß­wort des Bundes­ministers für Bil­dung und Forschung, Cem Özde­mir, und ein­leitenden Worten von Julian Junk, Leiter des Trans­ferprojekts RADIS. „Jede Verän­derung beginnt mit dem Er­kennen der Ursachen“, sagte Öz­demir. Dafür brauche es keinen Aktio­nismus, sondern nach­haltige Konzepte. Die lang­jährige Forschung von RADIS liefere hierfür wichtige Im­pulse. Der Minister kün­digte an, dass das Forschungs­ministerium in den kommenden Jahren weitere 15 Millionen Euro für die Islamismus­forschung bereit­stellen wird.

Julian Junk verwies in seinen ein­leitenden Worten auf den langen Weg der Islamismus­forschung, der schon viele Erkennt­nisse hervor­gebracht hat. Zugleich bestehen erhebliche Forschungs­lücken, insbe­sondere zu den Wechsel­wirkungen von Radi­kalisierung, Rassismus, Diskri­minierung und sozialer Aus­grenzung. Sowohl Özdemir als auch Junk betonen daher, dass die Ausein­andersetzung mit dem Phänomen Isla­mismus kein Rand­thema sei, sondern zentral für unsere Demo­kratie.

Im ersten Panel disku­tierten Naika Foroutan (DeZIM-Institut/Pro­jekt D:Islam), Eva Herschinger (CISS), Sebastian Kurten­bach (FH Münster/Pro­jekt RadiRa) und Thomas Mücke (VPN) die Erkennt­nisse aus vier Jahren For­schung und die Relevanz der Islamismus­forschung. Die Pane­list*innen waren sich einig über den Nutzen von weit­reichender Vernetzung inner­halb der For­schung und mit Praxis, Politik und Gesell­schaft. RADIS als „Netz­werk der Netz­werke“ wurde hier als positives Bei­spiel hervor­gehoben. Naika Foroutan betonte, dass eine enge Verknüpfung von Grundlagen­forschung und Fach­praxis uner­lässlich sei. Nur so könne die For­schung zeitnah auf gesell­schaftliche Ent­wicklungen reagieren.

In der an­schließenden Session wurde das breite Spek­trum des RADIS-Forschungs­netzwerks deutlich: Die 12 Projekte präsen­tierten ihre Ergeb­nisse in kurzen Pitches, mode­riert von Shaimaa Abdellah (RADIS). Bei Kaffee und Kuchen fand ein inten­siver Aus­tausch zwischen For­schung, Praxis, Politik und Sicherheits­behörden statt. Angeregt wurden die Ge­spräche durch Poster, die auf den jewei­ligen Projekt­seiten auf der RADIS-Web­seite abrufbar sind.

Lars Wiegold (RADIS) und Sina Tultschinetski (RADIS) mode­rierten die darauf folgende Fish­bowl. Expert*innen beleuch­teten in rotie­render Besetzung die Leit­frage: Was können wir gegen Radika­lisierung tun - und was braucht es dafür? Götz Nordbruch (ufuq.de), Gert Pickel (Projekt RIRA) und Aisha-Nusrat Ahmad (WinRa/DeZIM) sprachen über blinde Flecken in der For­schung. Häufig werde die Kom­plexität musli­mischen Lebens in Deutsch­land ausge­blendet. Ein tieferer Aus­tausch über die Verflech­tungen zwischen Isla­mismus und anti­muslimischem Rassis­mus sei daher immens wichtig, beton­te Nusrat Ahmad. Es sei außer­dem ent­scheidend, positive Narra­tive gegen Radikalisierungs­tendenzen zu schaffen. Dies führte direkt zur Frage nach Handlungs­bedarfen, mit der sich Svetla Koynova (VPN), Jörn Thiel­mann (Projekt Wechsel­wirkungen) und Jens Ost­wald (IU Inter­nationale Hochschule) auseinander­setzten. Die strukturelle Aner­kennung musli­mischer Vereine könne als Radikalisierungs­prävention wirken, so Thiel­mann. Außerdem disku­tiert wurden die Relevanz des digitalen Raums und geschlechts­spezifische Zugänge in der Radikalisierungs­forschung und -präven­tion. 

Über Wissen­stransfer diskutierten in der dritten Fish­bowl-Runde Matthias Heider (IDZ Jena), Juliane Kanitz (i-unito) und Jamuna Oehl­mann (BAG RelEx). In der Zivil­gesellschaft sei der Handlungs­druck spür­bar, so Jamuna Oehlmann. Lehr­kräfte etwa seien häufig über­fordert. Hier könne die For­schung mit wissen­schaftlich fundierten Leit­fäden unter­stützen. Angesichts drohenden Wissens­verlusts und kurzer Projekt­laufzeiten in Wissen­schaft und Praxis sei es zudem entschei­dend, nach­haltige Struk­turen zu etablieren, um lang­fristig Wirkung zu erzielen.

Das Abend­podium wurde von der Journa­listin und Fernseh­moderatorin Vivian Perkovic mode­riert. Gemein­sam mit Petra Pau (Vize­präsidentin des Deutschen Bundes­tages a.D., Die Linke), Susanne Pickel (Uni­versität Duis­burg-Essen/Projekt RIRA), Ye-One Rhie (Forschungs­politische Expertin, SPD) und Andreas Zick (IKG, RADIS) disku­tierte sie, welche Schritte es braucht, um Isla­mismus adäquat zu begeg­nen. Deutlich wird: Isla­mismus ist glo­baler, digitaler und jünger ge­worden und braucht gesamt­gesellschaftliche Ant­worten. In digitalen Räumen muss ver­stärkt auf Prävention gesetzt werden, aber auch Schulen sollten besser auf den Um­gang mit den verschie­denen Formen des Extre­mismus vorbe­reitet werden. Isla­mismus ist ein ernst­zunehmendes Phänomen, gleichzeitig darf Rechts­extremismus nicht aus dem Blick ge­raten, betonte Andreas Zick.
 
Die Erkennt­nisse des Tages wurden schließ­lich bei Häppchen und Getränken weiter disku­tiert. Damit ging nicht nur die Tagung zu Ende, sondern auch eine mehr­jährige Forschungs- und Vernetzungs­arbeit, deren Ergebnisse zeigen, wie wichtig der konti­nuierliche Austausch zwischen Wissen­schaft, Praxis und Politik für wirk­same Präven­tion ist.

Die Video Dokumentation der Tagung findet sich auf dem PRIF YouTube-Kanal.