African Intervention Politics
Die Forschungsgruppe African Intervention Politics erforscht Interventionen afrikanischer Regionalorganisationen wie der Afrikanischen Union (AU), der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) oder der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC). Diese Organisationen sind zu zentralen Akteuren bei der Herstellung und Erhaltung von Frieden und Sicherheit auf dem afrikanischen Kontinent geworden. Trotz dieser friedenspolitischen Relevanz mangelt es nach wie vor an systematischem Wissen über die Praktiken und Konsequenzen afrikanischer Interventionen. Entgegen der bisher stark von institutionalistischen und top-down Ansätzen geprägten Forschung nimmt die Forschungsgruppe eine Perspektive „von unten“ ein, bei der die alltägliche Erfahrbarkeit und das Politische der Interventionen im Zentrum steht.
Dabei nimmt die Forschungsgruppe zwei Themenfelder in den Blick: Zum einen erforschen wir die Wissensordnungen und Praktiken, die afrikanischen Interventionen zugrunde liegen und mithilfe derer verschiedenste Akteure in Interventionen Frieden und Ordnung herzustellen versuchen. Zum anderen untersuchen wir, welche Effekte diese Interventionen auf die politische und soziale Ordnung in den betroffenen Ländern haben und wie verschiedene gesellschaftliche Gruppen die Interventionen erleben und bewerten. Methodisch arbeiten wir unter anderem mit Fokusgruppen- und Interviewforschung, Survey-Forschung und teilnehmender Beobachtung. Die verschiedenen Projekte der Forschungsgruppe werden in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen aus Afrika durchgeführt.
Bild: SoulRider.222 / Eric Rider via flickr, CC BY-ND 2.0
Projekte
Dissertationen
Die Vision der Afrikanischen Union (AU) – „An integrated, prosperous and peaceful Africa, driven by its own citizens […]“ – sowie das Leitbild der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) – „From an ECOWAS of States to an ECOWAS of Peoples“ suggerieren inklusive Entwicklungsprozesse und -ziele der beiden Organisationen. Dies wird als die Absicht gewertet, ihre Governance-Prozesse auf die Norm einer „people-centric governance“ auszurichten. Als zentrale Akteure der African Peace and Security Architecture (APSA) können beide Organisationen zu Zwecken der Krisenprävention, des Konfliktmanagements sowie des Wiederaufbaus und der Entwicklung nach Konflikten intervenieren. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit militärischen Komponenten afrikanischer Konfliktinterventionen dominieren bisher die Wissensgenerierung über afrikanische Interventionspolitiken. Durch den „local turn“ breitete sich zudem ein Forschungsstrang aus, der liberales Peacebuilding kritisch betrachtet und das Handeln lokaler Akteur*innen in den Vordergrund stellt. Das Dissertationsprojekt zielt auf die Verflechtungen des Lokalen und Internationalen in afrikanischen nicht-militärischen Interventionen ab, indem erarbeitet wird, wie und warum zivilgesellschaftliche Akteur*innen als Partner*innen in Konfliktinterventionen der AU und ECOWAS inkludiert oder exkludiert werden. Mittels praxistheoretischer Ansätze rekonstruiert die Arbeit die Praktiken der Inklusion und Exklusion zivilgesellschaftlichen Akteur*innen anhand der beiden Fallbeispiele Mali und Guinea und trägt dazu bei, die „black box“ afrikanischer nicht-militärischer Interventionspolitiken weiter zu öffnen.
Dies wird zunächst durch leitfadengestützte Interviews mit relevanten Akteur*innen der AU und ECOWAS durch Feldforschungsaufenthalte in Addis Abeba und Abuja gewährleistet und durch die Fallstudien veranschaulicht. In letzteren werden leitfadengestützte Interviews mit zivilen nicht-staatlichen Akteur*innen sowie partizipative Ansätze mit Fokusgruppen durchgeführt. Neben dem Erfahrungswissen über Ein- und Ausschlussmechanismen bei AU- und ECOWAS-Interventionen werden Informationen zur Rekonstruktion der Akteur*innenlandschaft durch soziale Netzwerkanalysen gewonnen und „communities of practice“, die den konzeptuellen Rahmen Arbeit bilden, im Bereich afrikanischer regionaler Konfliktinterventionen identifiziert.
In den vergangenen zwanzig Jahren haben die Afrikanische Union (AU) und die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) erhebliche Handlungsfähigkeit bei der Gewährleistung von Frieden und Sicherheit auf dem Kontinent bewiesen indem sie politische Ordnungen und Lebenswelten gestalten. In der Interventionsliteratur werden diese afrikanischen Interventionen als kaum oder frei von Zwangsmitteln geprägt dargestellt, was ihnen im Vergleich zu den umstritteneren „westlichen“ Interventionen mehr Legitimität attestiert.
Das Dissertationsprojekt stellt diese Annahme in Frage, indem es argumentiert, dass Interventionen inhärent mit Zwangsmitteln agieren, da sie auf eine normative Krise reagieren und versuchen, Ordnung zu schaffen. Vorläufige Feldforschung legt nahe, dass Zwang mehrdeutiger ist als seine übliche negative Konnotation glauben lässt und dass Wahrnehmungen von Zwang entlang von Parametern wie Raum, Positionalität und Zeit auseinanderfallen. Dabei gibt es einen Kipppunkt zwischen legitimem und illegitimem Zwang, der in der Tat die Legitimität der Intervention und den Versuch der regionalen Ordnungsbildung prägt. Ausgehend von diesen Annahmen stellt dieses Dissertationsprojekt folgende Fragen: Wie viel Zwang wenden afrikanische Interventionen an? Was ist Zwang für wen und unter welchen Umständen? Warum fallen Wahrnehmungen von Zwang auseinander und wie wirkt sich dies auf die regionale Ordnungspolitik aus?
Auf der Grundlage ethnographischer Forschungselemente wie Beobachtung, Immersion, (Nicht-)Eliteninterviews und Fokusgruppenforschung in Gambia und Guinea-Bissau untersucht dieses Dissertationsprojekt (1) die Wahrnehmung von Zwang in diesen beiden Fallstudien, um aufzuzeigen, wie die von den Interventionen Betroffenen den Zwangscharakter der Interventionen wahrnehmen und was für sie Zwang darstellt. In einem Vergleichsdesign zwei ähnlicher Fälle identifiziert dieses Projekt (2) Faktoren, warum diese Wahrnehmungen auseinanderfallen, und (3) wie diese den Anspruch und die Legitimität regionaler Ordnungspolitik beeinflussen.
Publikationen (Auswahl)
- How African Regional Interventions are Peceived on the Ground: Contestation and Multiplexity
| 2024
Witt, Antonia; Bah, Omar M; Birchinger, Sophia; Jaw, Sait Matty; Schnabel, Simone (2024): How African Regional Interventions are Peceived on the Ground: Contestation and Multiplexity, International Peacekeeping, 31: 1, 58–86. DOI: 10.1080/13533312.2023.2262922 - Forging an African Union Identity: The Power of Experience
| 2023
Witt, Antonia (2023): Forging an African Union Identity: The Power of Experience, Global Studies Quarterly, 3: 3, 1–12. DOI: 10.1093/isagsq/ksad052 - “Siding with the people” or “Occupying force”? Local perceptions of African Union and ECOWAS interventions in the Gambia
| 2023
Birchinger, Sophia; Jaw, Sait Matty; Bah, Omar M; Witt, Antonia (2023): “Siding with the people” or “Occupying force”? Local perceptions of African Union and ECOWAS interventions in the Gambia, PRIF Report, 3, Frankfurt/M. DOI: 10.48809/prifrep2303 - Beyond formal powers: Understanding the African Union's authority on the ground
| 2022
Witt, Antonia (2022): Beyond formal powers: Understanding the African Union's authority on the ground, Review of International Studies, 48: 4, 626–645. DOI: 10.1017/S0260210522000067 - The “Clubs of Heads of State” from Below
| 2022
Schnabel, Simone; Witt, Antonia; Konkobo, Adjara (2022): The “Clubs of Heads of State” from Below. Local perceptions of the African Union, ECOWAS and their 2014/15 interventions in Burkina Faso, PRIF Report, 14, Frankfurt/M. DOI: 10.48809/prifrep2214 - Taking Intervention Politics Seriously
| 2020
Witt, Antonia; Schnabel, Simone (2020): Taking Intervention Politics Seriously. Media Debates and the Contestation of African Regional Interventions ‘from Below’, Journal of Intervention and Statebuilding, 14: 2, 271-288. DOI: 10.1080/17502977.2020.1736415 - Studying African Interventions ‘from Below’
| 2018
Witt, Antonia (2018): Studying African Interventions ‘from Below’. Exploring Practices, Knowledges and Perceptions, South African Journal of International Affairs, Special Issue, 25: 1, 1–19. DOI: 10.1080/10220461.2018.1417904