Forschungsprogramm

PRIF stellt seine Grund­lagen­forschung unter ein je­weils über­ge­ord­netes Thema: das Forschungs­­programm. Die Forschungs­­programme werden von den Wissen­­schaft­ler*innen des PRIF erar­beitet und auf Em­pfehlung des Wissen­­schaft­lichen Beirats vom Stift­ungs­rat ver­ab­­schie­det.

Aktuelles Forschungsprogramm

Vergangene Forschungsprogramme

Mit Containern beladenes Handelsschiff

Ab Januar 2024 geht das PRIF neue Wege mit einem neuen Forschungs­programm als „lebendigem Dokument“. Das Forschungs­programm präsentiert sich als strategisches Rahmenwerk, das die grundlegende Mission des PRIF als Friedens- und Konflikt­forschungs­institut, die aktuelle Forschungs­agenda des Instituts sowie seine Kernbereiche und mittel­fristigen Forschungsziele verbindet. Anders als die zeitlich begrenzten und thematisch fokussierten Forschungs­programme der Vergangenheit ist das neue Forschungs­programm thematisch breiter angelegt. Es reagiert damit auf das Wachstum des Instituts und die kontinuierliche Weitung der Forschungs­agenda durch neue Forschungs­themen, -formate und Kooperationen.

Neben den thematischen Schwerpunkten, die durch die fünf Programmbereiche abgedeckt werden, identifiziert das aktuelle Forschungsprogramm fünf Querschnittsbereiche, die von den Programmbereichen gemeinsam bearbeitet werden:

  • Transformationen politischer Gewalt
  • Herausforderungen und Transformationen politischer Herrschaft
  • Radikalisierung und sozialer Zusammenhalt
  • Konflikt und Vertrauen
  • Gender, Diversität und Konflikt

PRIF Research Program


| 2023
Peace Research Institute Frankfurt (2023): PRIF Research Program.

Vergangene Forschungsprogramme

Frieden und Zwang (2018–2023)

Im Januar 2018 begann PRIF parallel zum Ab­schluss des vorherigen For­schungs­programms „Just Peace Governance“ mit der Arbeit am For­schungs­programm „Frieden und Zwang“. Im Zentrum stand dabei die Frage, welche Rolle der An­drohung oder An­wendung von Zwang bei der Schaffung, Auf­recht­erhal­tung und Ge­fähr­dung von Frieden zukommt.

Das Forschungs­programm „Coercion and Peace“ unter­suchte die ambi­valente Be­ziehung zwischen Zwang und Frieden. Zwang kann einer­seits not­wendig sein, um Frieden zu schaffen und auf­recht­zu­er­halten. Anderer­seits kann Zwang Frieden unter­minieren. Grund­sätzlich steht Zwang im Spannung­sverhältnis zu einem Frieden, der mehr sein will als die Ab­wesen­heit von Krieg.

PRIF arbeitete heraus, unter welchen Be­ding­ungen und in welcher Weise der Einsatz von Zwang zur Durch­setzung inter­natio­naler oder inner­gesell­schaft­licher Normen Erfolg hat, und in­wieweit dies Frieden befördert oder gefährdet. Es ging darum zu be­stimmen, wie mit so wenig Zwang wie nötig so viel Frieden wie möglich erreicht werden kann.

Just Peace Governance (2011–2017)

Im Jahr 2011 nahm die HSFK parallel zum Ab­schluss des bis­herigen Forschungs­programms „Antinomien des Demo­kratischen Friedens“ die Arbeit am Forschungs­programm „Just Peace Govern­ance“ auf. Unter diesem Titel hat die HSFK Span­nungs­ver­hältnisse zwischen den drei begriff­lichen Konzepten zu­sam­men­ge­bracht, die für die Friedens- und Konflik­tforschung seit jeher von er­heblicher theo­retischer Be­deutung und praxeo­logischer Reich­weite sind. Wie im Forschungs­programm „Antinomien des Demo­kratischen Friedens“ ging es darum, die in und zwischen den Konzepten verborgenen Friktionen und Wider­sprüch­lich­keiten auf­zu­decken und auf ihre Un­ver­träglich­keiten und Neben­wirkungen hin aus­zu­leuchten. Ziel war es heraus­zu­finden, unter welchen Beding­ungen implizite oder explizite Gerechtig­keits­vor­stellungen von Ak­teuren zu gewalt­samen Kon­flikten führen, und unter welchen Be­dingungen sie die Grundlage für nach­haltigen Frieden bilden können. 

Das Forschungs­programm „Just Peace Governance“ konzentrierte sich auf Ge­rechtig­keits­konflikte und die Frage, wie Frieden und Gerechtig­keit gleicher­maßen ver­wirklicht werden können. Es ging von der Annahme aus, dass Frieden und Gerechtigkeit zwar gleich­berechtigte politische Werte sind, die aber häufig in Kon­kurrenz und manch­mal sogar in Konflikt geraten. Manche sagen etwa, Ge­rechtigkeits­ansprüche müssten nach Bürger­kriegen begrenzt werden, damit durch Ver­söhnung dauer­hafter Frieden möglich werde; andere behaupten, man müsse gelegent­lich den Frieden brechen, um der Gerechtig­keit zum Durchbruch zu verhelfen. Das Forschungs­programm der HSFK versteht Just Peace Governance als eine Form politischen Handelns, das durch Berück­sichtigung von Gerechtigkeits­gesichts­punkten und die konstruktive Be­arbeitung von Gerechtigkeits­konflikten dauer­haften Frieden schafft.

Um dies zu unter­stützen, analysierten die Forschung­sprojekte der vier Programm­bereiche – jeweils unter ihrem speziellen Fokus – inwiefern Konflikte durch Gerechtigkeits­aspekte bestimmt sind und welche Formen von Governance für die fried­liche Be­arbeitung von Gerechtigkeits­konflikten geeignet sind. Dabei standen drei Formen von Ge­rechtigkeits­konflikten im Zentrum: 1. Konflikte, die aus der globalen Macht­verschiebung und dem Auf­stieg „neuer Mächte“ entstehen, 2. Konflikte, die aus kon­kurrieren­den Normen und Ideen resultieren, und 3. Konflikte, die bei der Ent­wicklung und Trans­formation von Gove­rnance-Institutionen ent­stehen.

Die übergreifenden Erkenntnisse des Forschungsprogramms „Just Peace Governance“, die der englischsprachige Syntheseband „Justice and Peace: The Role of Justice Claims in International Cooperation and Conflict“ präsentiert, verweisen unter anderem auf folgende Punkte:

  • Die Fragen, welche Bedeutung Gerechtigkeit per se zukommt und was sie in der gegebenen Situation impliziert, sind häufig zentrale Bezugspunkte in politischen Konflikten. Zwei Dimensionen der Umstrittenheit sind in solchen Gerechtigkeitskonflikten besonders häufig zu finden: Welche Subjekte der Gerechtigkeit sollten im Zentrum stehen (i.d.R. Staaten/Kollektive oder Individuen) und welches Gerechtigkeitsprinzip sollte in einer Situation Anwendung finden (etwa Gleichheit, Chancengleichheit, oder unterschiedliche Verantwortung je nach Macht bzw. Status eines Akteurs)?
  • Konkurrierende Gerechtigkeitsansprüche sind nie die einzigen Faktoren, die politische Konflikte und Gewalt antreiben, sie treiben aber über mit ihnen verknüpfte kausale Mechanismen Konflikte an und erschweren ihre friedliche Beilegung. Akteure, die sich ungerecht behandelt fühlen, sind weniger offen für Kompromisse und Ausgleichsvereinbarungen. Als besonderes Problem erweist sich, dass Akteure in Gerechtigkeitskonflikten häufig die eigene Position als moralisch gerechtfertigt betrachten, die Gegenposition dagegen als rein machtpolitisch-strategisch motiviert. Werden unterschiedliche Gerechtigkeitsansprüche jedoch gleichermaßen berücksichtigt, steigert dies die Chancen auf einen Verhandlungserfolg.
  • Die Bearbeitung von Gerechtigkeitskonflikten ist für die Stabilität und Effektivität von Institutionen bedeutsam. Analog zu den Befunden der Sozialpsychologie für Individuen zeigt die Forschung an der HSFK, dass auch Staaten eher bereit sind, distributive Ungleichheit zu akzeptieren, wenn sie die zugrundeliegenden Verfahren als gerecht beurteilen. Dies hat insbesondere für die Ausgestaltung globaler Governance bedeutende Implikationen und unterstreicht die Relevanz regionaler Institutionen zur Legitimation globaler Regeln.
  • Entgegen verbreiteter Annahmen in der Literatur hinsichtlich der höheren Stabilität einer Nachkriegsordnung infolge eines eindeutigen Sieges einer Konfliktpartei, gewährleisten Friedensabkommen mit ihren oft hart verhandelten Kompromissen zwischen den Konfliktparteien einen mindestens genauso stabilen Frieden wie die Durchsetzung der Anliegen nur einer Konfliktpartei.

Über die substanziellen Erkenntnisse hinaus ist es dem Institut mit seinem Forschungsprogramm gelungen, ein internationales Netzwerk zur Gerechtigkeitsforschung zu etablieren, das von der Politikwissenschaft über die Philosophie bis hin zur Neurowissenschaft reicht und neue Forschungsimpulse in der Friedens- und Konfliktforschung setzen konnte. Zugleich war das Forschungsprogramm thematisch auf den Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ abgestimmt. Dies ermöglichte eine Vertiefung der Forschungskooperation mit der Goethe-Universität Frankfurt.

Wichtige Publikationen

  • Justice and Peace
    | 2019
    Fehl, Caroline; Peters, Dirk; Wisotzki, Simone; Wolff, Jonas (2019): Justice and Peace The role of justice claims in international cooperation and conflict, Wiesbaden: Springer VS.
  • Auf dem Weg zu Just Peace Governance
    | 2011
    Baumgart-Ochse, Claudia; Schörnig, Niklas; Wisotzki, Simone; Wolff, Jonas (2011): Auf dem Weg zu Just Peace Governance Beiträge zum Auftakt des neuen Forschungsprogramms der HSFK, Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 15, Baden-Baden: Nomos.
    ISBN: 978-3-8329-7051-2

Antinomien des Demokratischen Friedens (2000–2011)

Das Theorem des „demokratischen Friedens“ gründet sich auf die Beobachtung, dass Demokratien nahezu keine Kriege gegeneinander führen. Dies wird auf die Interessenkalküle und Wertorientierungen der Bürgerinnen und Bürger zurückgeführt sowie auf die Wirkung demokratischer Institutionen. Das Forschungsprogramm der HSFK ist der demokratischen Herrschaftsform verpflichtet und geht von den Grundprämissen des Theorems aus. Ein genauer Blick offenbart indes Widersprüche, die einer detaillierten Untersuchung und Erklärung bedürfen. So führen Demokratien zwar nicht gegeneinander Krieg, wohl aber gegen nichtdemokratische Regime – und das bisweilen mit besonderer Aggressivität. Zudem ist der Weg zum „demokratischen Frieden“ – die Demokratisierung – oft mit besonderer Gewalttätigkeit gepflastert. Internationale Organisationen wiederum dienen Demokratien zwar als institutionelle Grundlage friedlicher Kooperation, bergen zugleich jedoch das Risiko eines Verlustes demokratischer Kontrolle.

Diese und andere kaum berücksichtigte Widersprüche standen in den 2000er Jahren im Mittelpunkt sowohl der grundlegend wissenschaftlichen als auch der praktisch beratenden Arbeit der HSFK.

„[T]he ‘Antinomies of Democratic Peace‘ project, an initiative undertaken by the Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) and led by Harald Müller […], represents the most sustained contribution to the development of a critical research programme through exploring the tensions, contradictions and ‘dark sides’ of the democratic peace. The PRIF project has resulted in a series of publications, including two important edited books: Democratic Wars: Looking at the Dark Side of Democratic Peace (Geis et al. 2006) and The Militant Face of Democracy: Liberal Forces for Good (Geis et al. 2013), which explore the relationship between democracy and war ‘as the flipside of democratic peace’.”

Quelle: Christopher Hobson, The Rise of Democracy. Revolution, War and Transformations in International Politics since 1776, Edinburgh: Edinburg University Press, pp. 24–25.

Die Kernprojekte im Forschungsprogramm „Antinomien des demokratischen Friedens“ beschäftigten sich zu einem großen Teil mit westlichen Demokratien und ihren internationalen Organisationen. Die Forschung deckte die Konfliktlinien auf, die entstehen, wenn westliche politische Ziele, insbesondere wertgestützte, mit anderen Akteuren zusammentreffen, nämlich Nichtdemokratien und nichtwestlichen Demokratien. Die Bedeutung normativer Differenzen in „interessenbasierten“ Politikfeldern bildete einen auffälligen Befund, der nach weiterer Aufklärung verlangte. Zeitgleich wurde das Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ beantragt und bewilligt, an dem PRIF (damals HSFK) mit vier Principal Investigators beteiligt war. In ihrer gemeinsamen Arbeit setzen sich die Expert*innen konstruktiv mit Ansätzen der normativen liberalen Theorie auseinander. In diesem Zuge wurde deutlich, wie bedeutsam widerstreitende normative Ansprüche, namentlich Gerechtigkeitsforderungen, für den Austrag von Konflikten sind. Solche Konflikte enthalten Gewaltrisiken, bringen neben Hindernissen aber auch Chancen für einvernehmliche Regelungen hervor. Aus diesen Strängen entwickelte sich die Idee für das nachfolgende Forschungsprogramm „Just Peace Governance“.

Wichtige Publikationen

  • The Militant Face of Democracy
    | 2013
    Geis, Anna; Müller, Harald; Schörnig, Niklas (2013): The Militant Face of Democracy Liberal Forces for Good, Cambridge: Cambridge University Press.
    Zur Publikation
  • Der demokratische Unfrieden. Über das spannungsreiche Verhältnis zwischen Demokratie und innerer Gewalt
    | 2012
    Spanger, Hans-Joachim (2012): Der demokratische Unfrieden. Über das spannungsreiche Verhältnis zwischen Demokratie und innerer Gewalt Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Bd. 16, Baden- Baden: Nomos.
    ISBN: 978-3-8329-7050-5
  • Schattenseiten des Demokratischen Friedens
    | 2007
    Geis, Anna; Müller, Harald; Wagner, Wolfgang (2007): Schattenseiten des Demokratischen Friedens Zur Kritik einer Theorie liberaler Außen- und Sicherheitspolitik, Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.
  • Democratic Wars
    | 2006
    Brock, Lothar; Geis, Anna; Müller, Harald (2006): Democratic Wars Looking at the Dark Side of Democratic Peace, Houndmills: Palgrave Macmillan.