Radikalisierung
Die Forschungsgruppe Radikalisierung untersucht einerseits die Ursachen und Verläufe von Radikalisierungsprozessen (Themenfeld 1) sowie andererseits deren Auswirkungen auf die Gesellschaft (Themenfeld 2). Im ersten Themenfeld werden Radikalisierungsverläufe innerhalb von sich radikalisierenden Milieus sowie Dynamiken kumulativer Radikalisierung und Ko-Radikalisierung analysiert. Im zweiten Themenfeld werden die Gegenmaßnahmen von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren und die Konsequenzen, die sich daraus für die Gesellschaft ergeben, in den Blick genommen.
Die Forschungsgruppe knüpft damit an die bestehenden Forschungstraditionen von PRIF in den Bereichen Terrorismus und politische Gewalt, Transnationale Gewaltakteure, Prävention und politische Bildung und der vergleichenden Konfliktforschung an und bündelt diese interdisziplinär und programmbereichsübergreifend in Bezug auf die Forschung zu verschiedenen Phänomenbereichen (transnationaler) politischer und religiöser Radikalisierung.
Diese Analysen der komplexen Ursachen und der Dynamiken von Radikalisierung sowie ihre Wahrnehmung in Politik und Gesellschaft sind zwar einerseits in der Grundlagenforschung verortet, andererseits legt die Forschungsgruppe durch ein weites Netzwerk mit Praxispartnern einen Schwerpunkt auf den dialogischen Wissenstransfer.
Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen
Assoziierte Forscher*innen
Studentische Hilfskräfte
- Baum, Max
- Geyer, Philipp
- Hohe, Chantal Elisabeth
- Kollmuß, Lena
- Pfeiffer-Rooschütz, Levi
- Stein, Maya
- Würdemann, Sophie
Projekte
PhD Projects
Der Umgang mit Terrorismus hat spätestens seit dem 11. September 2001 die Agenden nationaler Sicherheit geprägt. Auch in Deutschland hat die Politik auf die als „neue Dimension“ wahrgenommene Bedrohung reagiert. Der Ansatz, den man dazu hierzulande verfolgt, setzt auf rechtsstaatliche Mechanismen, die den Terrorismus als Form der Kriminalität begreifen und ihm mit den Mitteln des Rechts begegnen (anders als im US-amerikanischen „war on terror“). So sind seit 2001 zahlreiche Gesetze zur oder mit Bezug auf Terrorismusbekämpfung auf Bundes- und Landesebene verabschiedet worden. Sie erstrecken sich über zahlreiche Rechtsgebiete, spiegeln ein weites Sicherheitsverständnis wider und haben das Gefüge der inneren Sicherheit immer wieder verschoben. Einige rechtsstaatliche Mechanismen wurden durch diese Transformationen heraus- und überfordert: Risikovorsorge und Vorfeld-Maßnahmen sollen Sicherheitsbehörden möglichst weit „vor die Lage“ bringen, dringen aber auch in grundrechtlich geschützte Bereiche vor und verwässern grundlegende Prinzipien, wie die Unschuldsvermutung.
In ihrem Dissertationsvorhaben untersucht Isabelle Stephanblome den gesetzgeberischen Umgang mit Terrorismus im Spannungsfeld von Politik, Recht und Unsicherheit. Dazu werden verschiedene Strategien zur Beherrschung von Unsicherheit typologisiert und Argumente zu deren Legitimation analysiert. Grundlage dafür ist die Gesetzgebung des Bundes und ausgewählter Bundesländer. Die Rechtstexte sowie die Dokumente ihrer Entstehungsprozesse sollen mit einem interpretativen Ansatz in einer qualitativen Fallstudie untersucht werden. Das Projekt verortet sich in der politikwissenschaftlichen Rechtsforschung und soll auch dazu beitragen, Recht als staatliches Instrument zur Verarbeitung von Unsicherheit für die Sicherheitsstudien zu erschließen.
Der Umgang mit postmigrantischer Diversität stellt eine aktuelle Anforderung an staatliche Institutionen in Deutschland dar. Der demografische Wandel sowie Rassismusdebatten führen zu einem Handlungsdruck, sich mit Fragen der Zugehörigkeit, Repräsentation und Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund auseinanderzusetzen. Insgesamt kann ein Bestreben von Polizeien beobachtet werden, Menschen mit Migrationshintergrund in Anwerbekampagnen anzusprechen und einzustellen. Diese Diversifizierung führt auf Grund der etablierten Polizei- und Organisationskultur jedoch nicht unbedingt zu einem institutionellen Wandel.
Auch wenn es noch keinen Paradigmenwechsel gibt, lässt sich eine Veränderung der deutschen Polizei im Umgang mit postmigrantischer Diversität feststellen. Dieses Dissertationsvorhaben untersucht mit ethnomethodologischen Methoden und qualitativen Interviews Diversitätsverständnisse in der deutschen Polizei, indem Praktiken der Diversitätsgestaltung analysiert werden.
Radikale Positionen finden derzeit in vielen europäischen Staaten und auch in Deutschland wieder verstärkt Zulauf und antidemokratisches und antiemanzipatorisches Gedankengut verbreiten sich. Vor allem online nimmt Hasskriminalität zunehmend zu und Kommentare sowie Äußerungen in der virtuellen Welt werden hemmungsloser. Besonders augenscheinlich ist diese Entwicklung seit einigen Jahren in den Phänomenbereichen des salafistischen Dschihadismus und des Rechtsextremismus.
Indem weitere Personen für die rechte oder die salafistische Ideologie gewonnen werden und die Gewaltbereitschaft innerhalb der Szenen steigt, scheinen die Mobilisierungsstrategien und -techniken extremistischer Akteure aufzugehen. Mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse von Facebookinhalten salafistischer und rechtsradikaler bzw. rechtsextremer Akteure untersucht Manjana Sold in ihrem Dissertationsvorhaben, welche Mobilisierungstechniken von unterschiedlich radikalen Personen eingesetzt werden und welche Unterschiede sich innerhalb der Phänomenbereiche sowie zwischen den beiden Phänomenbereich beobachten lassen.
Dieses Promotionsprojekt untersucht den Aufstieg antifeministischer, verschwörungstheoretischer Mobilisierung in Deutschland, der insbesondere geprägt ist von rechtskonservativen, katholischen und rechten Akteuren, die sich gegen Geschlechtergerechtigkeit und gegen die Rechte von queeren und trans Personen wenden. Sie betrachten diese als Treiber eines gesellschaftlichen Zusammenbruch durch die Erosion „natürlicher“ Geschlechterrollen. Aus psychologischer Sicht ist die Unterstützung des Antifeminismus nicht direkt nachvollziehbar, da sie eine Ablehnung von Politiken beinhaltet, die für viele Befreiung versprechen. Die verschwörungsideologische Opposition dagegen verknüpft Antifeminismus zudem mit antisemitischen Sichtweisen und stärkt so die Selbstsicht, sich in der Abwehr gegen vermeintlich feministische Eliten zu befinden. Dieses Projekt zielt darauf ab, zu erforschen, wie Menschen unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten dennoch politische Ermächtigung in diesen Bewegungen erleben und wie sie jene wahrnehmen, die sie als Bedrohung sehen. Durch Interviews und die Analyse von Online-Narrativen werden die sozio-psychologischen Mechanismen untersucht, durch die Individuen politische Handlungsfähigkeit erlangen.
Sogenannte Reichsbürger*innen sind kein neues Phänomen in Deutschland. Die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit – wie z.B. die Festnahmen rund um die „Patriotische Union“ seit Dezember 2022, die Protestbewegungen während der Covid-19 Pandemie und mehrere schwere Gewalttaten – verdeutlichen dennoch eine steigende gesellschaftliche Relevanz des Themenkomplexes. Der Wissensstand hierzu gestaltet sich aktuell jedoch fragmentarisch und verhindert eine tiefergehende forscherische Auseinandersetzung mit der Anhänger*innenschaft dieses ideologischen Spektrums. Vorläufige Analysen liefern Hinweise darauf, dass sich diese z.B. im Hinblick auf demografische Faktoren, aber auch bzgl. der Rolle von Sozialdynamiken und Organisationsformen von anderen, besser erforschten extremistischen Phänomenen unterscheiden könnte. Angesichts dieser Unterschiede können bestehende Konzeptualisierungen von Radikalisierung nicht ohne weiteres auf Reichsbürger*innen übertragen werden und es bedarf neuer, dezidierter Forschung.
In seinem Dissertationsvorhaben untersucht Maximilian Ruf auf Basis biographisch-narrativer Interviews individuelle Wege und Kausalitäten der Radikalisierung von Reichsbürger*innen in Deutschland. Ziel der Arbeit ist es, neues Wissen zu Radikalisierungsprozessen von Reichsbürger*innen zu generieren und zu systematisieren, um sie von anderen Radikalisierungsphänomenen abzugrenzen und neue Ansatzpunkte für weiterführende Forschung sowie Praxisentwicklung zu identifizieren.
In ihrer Dissertation vergleicht Lotta Rahlf systematisch, wie europäische Länder bei der Evaluation von Maßnahmen der Extremismusprävention und -bekämpfung vorgehen. Die Forschung untersucht, wie und warum sogenannte Evaluationssysteme, Gefüge von Strukturen, in denen Evaluationen eingebettet sind, in Europa variieren. Indem sie Evaluationssysteme im Bereich der Extremismusprävention- und Bekämpfung vergleicht und Faktoren untersucht, die ihre Unterschiede erklären, macht ihre Dissertation auf die Vielfalt der Möglichkeiten aufmerksam, mit denen Länder die Generierung von evaluativem Wissen organisieren, um auf zunehmende Forderungen nach evidenzbasierten Präventionsmaßnahmen zu reagieren. Konkret untersucht Rahlf sowohl theoretisch als auch empirisch die Stellschrauben, die Evaluationssystem in einigen Ländern eher zentralisiert und in anderen eher dezentralisiert gestalten lassen. Die Dissertation ergründet somit, warum Evaluierungen von Maßnahmen der Extremismusprävention und -bekämpfung in einigen Länderkontexten stark staatlich kontrolliert werden, während sie in anderen Ländern stärker auf mehrere Instanzen verteilt sind. Neben einem ländervergleichenden deskriptiven Mapping von Evaluationsmanagement im Bereich der Extremismusprävention und -Bekämpfung in Europa wird sie mittels der qualitativen vergleichenden Analyse (QCA) untersuchen, welche Faktoren einen Einfluss auf bestimmte Ausgestaltungen solcher Evaluationssysteme haben. Auf der Grundlage der Ergebnisse wählt Rahlf schließlich drei Länder aus, um ihre jeweiligen Evaluationssysteme anschließend eingehend zu analysieren. Diese Dissertation, die Teil des von der EU finanzierten Marie-Skłodowska-Curie-Doktorandennetzwerks VORTEX ist, hat auch eine hohe praktische Relevanz, da sie es P/CVE-Praktikern und politischen Entscheidungsträgern ermöglicht, von anderen europäischen Kontexten zu lernen.
Im vergangenen Jahrzehnt haben sich wiederholt terroristische Anschläge durch sogenannte einsame Wölfe, ereignet. Die Anschläge durch Anders Breivik in Norwegen und Arid Uka in Deutschland sind dabei nur zwei Beispiele eines zunehmend auftretenden Phänomens. Einsame Wölfe als Täter*innentypus handeln vermeintlich alleine und radikalisieren sich vermeintlich ohne externen Einfluss. Gleichzeitig zeigt die Radikalisierungsforschung jedoch die essenzielle Bedeutung von sozialen Verbindungen in Radikalisierungs- und Mobilisierungsprozessen auf, sodass sich die Frage ergibt, wie sich einsame Wölfe radikalisieren und mobilisieren können, wenn sie entsprechend ihres namensgebendes Merkmals doch einsam sind und entsprechend keine sozialen Verbindungen haben. Bisher liegt zu dieser Fragestellung kaum Forschung vor, die dieser Frage auf theoretischer oder empirischer Basis systematisch nachgeht.
In ihrem Dissertationsprojekt befasst sich Annika von Berg mit der Frage, wie soziale Verbindungen in den Radikalisierungs- und Mobilisierungsverläufen terroristischer Einzeltäter*innen wirken. Als theoretische Grundlage wird zur Beantwortung der Frage ein identitätstheoretisches Modell genutzt, welches schließlich im Rahmen von Fallstudien aus den Phänomenbereichen Rechtsextremismus und islamistischer Extremismus mittels Process Tracing überprüft werden soll.
Kognitive Radikalisierung zeichnet sich durch die Akzeptanz einer extremistischen Ideologie aus. Es wird angenommen, dass sowohl dschihadistische als auch rechtsextreme Radikalisierungsprozesse zumindest teilweise durch in extremistischer Propaganda verbreitete Narrative und Geschichten beeinflusst werden. In vielen Fällen werden solche Narrative im digitalen Raum verbreitet und auch konsumiert.
Da Narrative als wichtiger Bestandteil von Radikalisierungsprozessen angesehen werden, überrascht es nicht, dass Narrative auch wichtige Elemente in der Extremismuspräventions- und interventionsarbeit sind. Narrativkampagnen gegen Extremismus werden oft als Gegennarrative und alternative Narrative bezeichnet und sind ein populäres aber stark kritisiertes Werkzeug in der digitalen Extremismusprävention.
In ihrem Dissertationsvorhaben beleuchtet Linda Schlegel einen bisher wenig beachteten Aspekt digitaler Narrativkampagnen gegen Extremismus: Wie kann gutes Storytelling die persuasiven Effekte von Gegennarrativen und alternativen Narrativen stärken? Hierzu überträgt sie bestehendes Wissen zu narrativer Persuasion aus anderen Kontexten wie beispielsweise Entertainment-Education Kampagnen in den Präventionskontext. Ziel ist es zu erläutern wie wichtig gutes Storytelling für die Extremismusprävention ist und zu zeigen, dass die Nutzung von Erkenntnissen aus der narrativen Persuasionsforschung Narrativkampagnen signifikant verbessern können.
Publikationen (Auswahl)
- How can research on topics surrounding radicalization, extremism, and terrorism be safe and socially sustainable?
| 2024
Ahmed, Reem; Klöckner, Mona; Sold, Manjana (2024): How can research on topics surrounding radicalization, extremism, and terrorism be safe and socially sustainable?, PRIF BLOG.
Zur Publikation - Gaming the System: The Use of Gaming-Adjacent Communication, Game and Mod Platforms by Extremist Actors
| 2024
Winkler, Constantin; Wiegold, Lars (2024): Gaming the System: The Use of Gaming-Adjacent Communication, Game and Mod Platforms by Extremist Actors, Global Network on Extremism & Technology.
Zur Publikation - Evaluating extremism prevention efforts: Insights from 14 countries
| 2023
Rahlf, Lotta; Ebbecke, Sophia; Bressan, Sarah; Herz, Angela (2023): Evaluating extremism prevention efforts: Insights from 14 countries. Interview with the PrEval working package on International Monitoring, PrEval.
Zur Publikation
Abgeschlossene Projekte
Extreme politische Ansichten haben Konjunktur. Das Projekt, das von Juli 2017 bis Februar 2020 lief, arbeitete interdisziplinär und systematisch vergleichend den Stand der Radikalisierungsforschung auf und schlug Handlungsoptionen gegen Radikalisierung und zur Stärkung demokratischer Werte vor.
„Gesellschaft Extrem. Radikalisierung und Deradikalisierung in Deutschland“
Der Projektverbund PANDORA untersucht gewaltförmige Diskurse in sozialen Medien und ihre Mobilisierungs- und Radikalisierungseffekte in der realen Welt. Diskurse und Mobilisierungsstrategien extrem rechter sowie salafistisch-dschihadistischer Akteure im Internet werden systematisch analysiert sowie kartographiert.
Das Forschungsprojekt trägt mit seiner Arbeit zum wissenschaftlichen Forschungsstand zur Aufklärung der Phänomene Salafismus und Dschihadismus in Deutschland sowie zur wissenschaftlichen Politikberatung in diesem Themenfeld bei.