Lokale Wahrnehmungen regionaler Interventionen: AU und ECOWAS in Burkina Faso und Gambia

Fokusgruppenbefragung im Rahmen der Feldforschung: Stuhlkreis mit Menschen

Afrikanische Regional­organi­sationen wie die Afrikanische Union (AU) oder die West­afrikanische Wirtschafts­ge­meinschaft (ECOWAS) sind zu zentralen Akteuren bei der Her­stellung von Frieden und Sicher­heit in Afrika geworden. In ihren Friedens­bemühungen sind beide Organi­sationen von einem menschen­zentrierten Diskurs geleitet, der sich in Normen der lokalen ownership oder Inklusivität wider­spiegelt. Doch entgegen dieser Rhetorik haben die Perspektiven der von den Normen und Inter­ventionen dieser Organisationen betroffenen Menschen in der wissen­schaftlichen Debatte bisher praktisch keine Auf­merksam­keit erfahren. Vor diesem Hinter­grund zielt das Forschungs­projekt darauf ab, die nach wie vor dominante top-down Perspektive auf afrikanische Regional­organisationen um­zu­drehen und zu unter­suchen, wie Menschen in von regionalen Inter­ventionen betroffenen Gesell­schaften sowohl die Inter­vention selbst als auch die dahinterstehenden Organisationen wahr­nehmen und bewerten. Ziel des Projektes ist es einerseits eine neue analytische Perspektive auf Regional­organisationen und deren Interventions­praktiken zu etablieren. Andererseits soll durch die Rekonstruktion konkreter Erfahrungen und Wahr­nehmungen von Inter­ventionen neues Wissen über die Legitimität und Wirk­samkeit afrikanischer Inter­ventions­politiken generiert werden.

Das Projekt untersucht zwei Fälle regionaler Interventionen - Burkina Faso (2014/15) und Gambia (2016/17) - in denen AU und ECOWAS inmitten einer politischen Krise intervenierten und damit nachhaltig die Post-Krisenordnung mitgestalteten. Methodisch stützt sich das Projekt auf Fokusgruppendiskussionen, Interviews sowie Medienanalysen. Das Projekt baut auf einem kollaborativen Forschungsansatz auf, bei dem sowohl die Feldforschung als auch die Datenanalyse und die Veröffentlichung der Projektergebnisse in gemeinsamen Tandems mit Forschenden aus Burkina Faso und Gambia durchgeführt wurden.

Teil des kollaborativen Forschungsansatzes ist es auch, die Projektergebnisse nicht nur einem akademischen Publikum zu präsentieren, sondern sie in die Praxis sowie die breitere politische Diskussion in den beiden Ländern einzuspeisen. So hat das Projektteam die bisherigen Ergebnisse in diversen Transferformaten in Burkina Faso und Gambia präsentiert und diskutiert: etwa mit Teilnehmenden der Fokusgruppen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, Parlamentarier*innen oder mit Repräsentant*innen internationaler Organisationen und Botschaften. Im Juni 2024 hat das Projektteam außerdem in einer mehrtätigen Delegationsreise zur ECOWAS Kommission in Abuja, Nigeria mit Mitarbeitenden der Organisation die praktischen Lehren der Forschungsergebnisse für die ECOWAS und ihre zukünftige Zusammenarbeit mit Bürger*innen der Region diskutiert.

Afrikanische Regional­organisationen wie die Afrikanische Union (AU) oder die Westafrikanische Wirtschafts­gemeinschaft (ECOWAS) sind damit beauftragt, Frieden und Sicherheit auf dem afrikanischen Kontinent zu fördern und Demokratie und Menschenrechte zu schützen. Dafür müssen sie immer häufiger in ihren Mitglieds­staaten eingreifen: etwa durch Mediation und Verhandlungen in politischen Krisen, oder nach Putschen und umstrittenen Wahlen. So geschah es zum Beispiel nach Putschen in Madagaskar, Niger und Mali oder jüngst im kleinen Staat Gambia, als der langjährige Präsident Yahya Jammeh sich weigerte, den Sieg des Oppositions­führers Adama Barrow bei den Präsidentschafts­wahlen anzuerkennen.

Doch was passiert bei solchen Interventionen? Im Rahmen des Workshops (Januar 2017), der von Antonia Witt (PRIF), Augustin Loada (Université de Ouaga 2) und Ulf Engel (Universität Leipzig) organisiert wurde, beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit folgenden Fragen: Wie werden abstrakte Ziele der Wiederherstellung „konstitutioneller Ordnung“ und der Förderung von Demokratie konkret umgesetzt? Wie kooperieren afrikanische Intervenierende dabei mit den jeweiligen nationalen und lokalen Akteuren, sei es die politische Elite oder die Zivilgesellschaft? Wie nehmen afrikanische Gesellschaften diese regionalen Bemühungen wahr und wie werden ihre Ergebnisse bewertet? Welche alternativen Vorstellungen von Frieden, Demokratie und Ordnung lassen sich jenseits der offiziellen Verhandlungstische ausmachen?

Die Wahl des Veranstaltungsortes ist dabei kein Zufall: Burkina Faso hat nach dem Sturz des langjährigen Präsidenten Blaise Compaoré im Oktober 2014 ebenfalls eine solche regionale Intervention erfahren, die im Nachhinein jedoch gemischt bewertet wird. In zwei interaktiven Zusammenkünften mit Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen und öffentlichen Intellektuellen sollten die vielfältigen Erfahrungen mit dieser Zeit regionaler Intervention reflektiert werden. Darüber hinaus stand auch die Frage im Fokus, welche Rolle Akademiker und die Universitäten als Multiplikatoren von Ideen einnehmen können, als Orte, an denen Lösungen für Krisen neu gedacht werden und als Quelle von Ordnungsvorstellungen, die möglicherweise eine Alternative darstellen könnten zu jenen, die regionale Interventionen derzeit fördern.

Der Workshop wurde vom DFG-Programm Point Sud finanziert.

Mitglieder

Projektleitung

Antonia Witt

Antonia Witt

Mitarbeiter*innen

Omar M Bah

Omar M Bah

Sophia Birchinger

Sophia Birchinger

Sait Matty Jaw

Sait Matty Jaw

Adjara Konkobo

Simone Schnabel

Simone Schnabel

Publikationen

  • How African Regional Interventions are Peceived on the Ground: Contestation and Multiplexity
    | 2024
    Witt, Antonia; Bah, Omar M; Birchinger, Sophia; Jaw, Sait Matty; Schnabel, Simone (2024): How African Regional Interventions are Peceived on the Ground: Contestation and Multiplexity, International Peacekeeping, 31: 1, 58–86. DOI: 10.1080/13533312.2023.2262922
  • Perspectives sociétales sur les interventions en Afrique : trois approches méthodologiques
    | 2023
    Witt, Antonia (2023): Perspectives sociétales sur les interventions en Afrique : trois approches méthodologiques, in: Döring, Katharina P.W./Engel, Ulf/Gelot, Linnea/Herpolsheimer, Jens (eds), Recherches sur la vie intérieure de l’Architecture Africaine de Paix et de Sécurité, Leiden: Brill, 85–110.
    Zur Publikation
  • Forging an African Union Identity: The Power of Experience
    | 2023
    Witt, Antonia (2023): Forging an African Union Identity: The Power of Experience, Global Studies Quarterly, 3: 3, 1–12. DOI: 10.1093/isagsq/ksad052
  • “Siding with the people” or “Occupying force”? Local perceptions of African Union and ECOWAS interventions in the Gambia
    | 2023
    Birchinger, Sophia; Jaw, Sait Matty; Bah, Omar M; Witt, Antonia (2023): “Siding with the people” or “Occupying force”? Local perceptions of African Union and ECOWAS interventions in the Gambia, PRIF Report, 3, Frankfurt/M. DOI: 10.48809/prifrep2303
  • The “Clubs of Heads of State” from Below
    | 2022
    Schnabel, Simone; Witt, Antonia; Konkobo, Adjara (2022): The “Clubs of Heads of State” from Below. Local perceptions of the African Union, ECOWAS and their 2014/15 interventions in Burkina Faso, PRIF Report, 14, Frankfurt/M. DOI: 10.48809/prifrep2214
  • Heimvorteil?
    | 2022
    Witt, Antonia; Bah, Omar M; Birchinger, Sophia; Jaw, Sait Matty; Schnabel, Simone (2022): Heimvorteil?. Lokale Perspektiven auf die Friedensbemühungen afrikanischer Regionalorganisationen, Forschung Frankfurt, 2022: 1, 30–34.
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  • Les « syndicats des chefs d’État » sur le terrain
    | 2022
    Schnabel, Simone; Witt, Antonia; Konkobo, Adjara (2022): Les « syndicats des chefs d’État » sur le terrain. Perceptions locales de l’Union Africaine, de la CEDEAO et de leurs interventions au Burkina Faso en 2014/2015, PRIF Report, 11, Frankfurt/M. DOI: 10.48809/prifrep2211
  • Societal Perspectives on African Interventions
    | 2021
    Witt, Antonia (2021): Societal Perspectives on African Interventions, in: Döring, Katharina P.W./Engel, Ulf/Gelot, Linnéa/Herpolsheimer, Jens (eds), Researching the Inner Life of the African Peace and Security Architecture. APSA Inside-Out, Leiden: Brill, 78–100.
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  • Mehr als Wahlen
    | 2020
    Schnabel, Simone (2020): Mehr als Wahlen. Burkina Faso wählt friedlich, doch der Frieden ist weit entfernt, PRIF Spotlight, 16, Frankfurt/M.
  • Understanding Societal Perspectives on African Interventions
    | 2020
    Witt, Antonia (2020): Understanding Societal Perspectives on African Interventions. A Methodological Agenda, PRIF Working Paper, 50: 50, Frankfurt/M.
  • Taking Intervention Politics Seriously
    | 2020
    Witt, Antonia; Schnabel, Simone (2020): Taking Intervention Politics Seriously. Media Debates and the Contestation of African Regional Interventions ‘from Below’, Journal of Intervention and Statebuilding, 14: 2, 271-288. DOI: 10.1080/17502977.2020.1736415
  • Where Regional Norms Matter
    | 2019
    Witt, Antonia (2019): Where Regional Norms Matter. Contestation and the Domestic Impact of the African Charter on Democracy, Elections and Governance, Africa Spectrum, 54: 2, 106–126.
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  • Whose Charter?
    | 2019
    Witt, Antonia (2019): Whose Charter?. How civil society makes (no) use of the African Democracy Charter, PRIF Spotlight, 5, Frankfurt/M.
  • African Regional Organizations Seen From Below: Theorizing Legitimacy Beyond the European Nation-State
    | 2018
    Schnabel, Simone (2018): African Regional Organizations Seen From Below: Theorizing Legitimacy Beyond the European Nation-State, PRIF Working Paper, 42, Frankfurt/M.
  • African Peace Interventions Seen ‘from Below’
    | 2018
    Witt, Antonia (2018): African Peace Interventions Seen ‘from Below’. Politics and Disconnects.
    Zur Publikation
  • Studying African Interventions ‘from Below’
    | 2018
    Witt, Antonia (2018): Studying African Interventions ‘from Below’. Exploring Practices, Knowledges and Perceptions, South African Journal of International Affairs, Special Issue, 25: 1, 1–19. DOI: 10.1080/10220461.2018.1417904
  • Towards Studying African Interventions ‘from Below’ – A Short Conclusion
    | 2018
    Witt, Antonia; Khadiagala, Gilbert M. (2018): Towards Studying African Interventions ‘from Below’ – A Short Conclusion, South African Journal of International Affairs, Special Issue, 25: 1, 133–139. DOI: 10.1080/10220461.2018.1438917

Partner

Dr. Abdoul Karim Saidou, Centre pour la Gouvernance Démocratique (CGD)

Prof. Ludovic Kibora, Institut des Sciences des Sociétés (INSS)