Mit dem Green Deal und der durch Russlands Krieg in der Ukraine verursachten Energiekrise hat die EU den Übergang zum Import erneuerbarer Energien, einschließlich grünem Wasserstoff, aus Nordafrika beschleunigt. EU-Entscheidungsträger*innen stellen die Energiewende als eine Win-Win-Situation dar, während zivilgesellschaftliche Akteure und Wissenschaftler*innen diese Entwicklungen als „grünen Extraktivismus“ und „grünen Kolonialismus“ kritisieren. Wenig Aufmerksamkeit wird in diesen Debatten hingegen dem Aktivismus auf nationaler Ebene und den (potenziell) betroffenen Gemeinschaften geschenkt – dabei kann das Verständnis für sie dabei helfen, eine umfassendere Einschätzung des Konfliktpotenzials der exportorientierten Produktion erneuerbarer Energien zu entwickeln.
In ihrem PRIF Report zeigt Irene Weipert-Fenner am Beispiel Tunesiens, dass die Exporte von grünem Wasserstoff eng mit anhaltenden innenpolitischen Kämpfen um die politische Ökonomie verbunden sind und im Kontext einer postkolonialen Energiegeschichte gesehen werden müssen. Sie identifiziert drei Hauptkonfliktlinien und erörtert Möglichkeiten und Grenzen der Konfliktprävention, die europäische Länder und die EU in ihrer Energiepolitik berücksichtigen sollten. Deutschland, das aufgrund seiner energieintensiven Industrie ein wesentlicher Treiber der grünen Wasserstoffwirtschaft ist, trägt hier eine besondere Verantwortung und sollte seine (entwicklungs-)politische und wirtschaftliche Kooperationen mit GH2-Exportländern entsprechend überdenken und anpassen.
Irene Weipert-Fenner ist Projektleiterin im Programmbereich Innerstaatliche Konflikte, Koordinatorin der Forschungsgruppe Regimewettbewerb und Senior Researcher am PRIF. Sie forscht zu autoritären Regimen, Demokratisierung und politischer Transformation, Protest und sozialen Bewegungen.
Der Report steht als Download (PDF, barrierefrei) zur Verfügung.