Over Their Dead Bodies: Grundlegende Axiome und aktuelle Nutzung und Handhabung menschlicher Überreste aus institutionellen Sammlungen

In der Vergangenheit wurden menschliche Überreste, insbesondere Schädel, immer wieder als Argumente zur Rechtfertigung von Rassifizierung und Rassismus herangezogen, um Menschen auf feste Identitätsvorstellungen festzulegen und gewaltsame Systeme der Ausbeutung und Unterdrückung zu legitimieren. Die Hunderttausenden von menschlichen Überresten, die in zahlreichen „Sammlungen“ auf der ganzen Welt angehäuft sind, stellen eine ethische und politische Herausforderung dar, sich mit der gewaltsamen Vergangenheit, ihren Hinterlassenschaften und Kontinuitäten auseinanderzusetzen. Ein zentrales Anliegen der aktuellen Praxis ist die Untersuchung der Geschichte der gesammelten sterblichen Überreste (d. h. die Provenienzforschung) im Kontext von Fragen ihrer Rückführung. In den meisten Fällen sind jedoch nur wenige oder gar keine biografischen Informationen dazu verfügbar, um wessen körperliche Überreste es sich handelt. Für die Rückführungen stellt dies ein Problem dar. Historische und biologische Forschungsmethoden werden herangezogen, um vorhandene menschliche Überreste einer bestimmten Identitätsgruppe zuzuschreiben und sie an zeitgenössische Vertreter*innen dieser Gruppe zurückzugeben. Dieser Prozess ist mit ethischen, konzeptionellen, methodischen und politischen Problemen behaftet, welche die multidisziplinäre Aufmerksamkeit erfordern. Zu den wichtigsten Themen, die diese Gruppe in Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessengruppen kritisch untersucht, gehören: der Rückgriff auf wissenschaftliche und populäre ethnisch-rassische Klassifizierungen bei bio-anthropologischen „Ahnenschätzungen“; die Vermischung biologischer Bevölkerungskategorien mit soziokulturellen Identitäten; die Zuschreibung soziokultureller Gruppenzugehörigkeit auf der Grundlage spärlicher historischer Informationen; die Reproduktion rassifizierter ethnischer und nationaler Kategorien in der politischen Praxis; ethische Dilemmata der andauernden Aufbewahrung und konkreten Behandlung von menschlichen Überresten. Die Gruppe untersucht diese Probleme mit besonderer Berücksichtigung der regionalen Kontexte (z.B. im südlichen Afrika oder Osteuropa) und analysiert die Unterschiede der Behandlung von Überresten je nach ihrer Herkunft. Dieses Projekt liefert Beiträge für den wissenschaftlichen Umgang mit Provenienz und Restitution menschlicher Überreste, schafft aber auch Grundlagen für die künftige praktische Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren.
Dieses Projekt wird durch das Programm Constructive Advanced Thinking (CAT) des Network of European Institutes of Advanced Studies (NetIAS) finanziert.
Die Forschungsgruppe setzt sich aus fünf Mitgliedern zusammen:
- Jonatan Kurzwelly (Sozial- und Kulturanthropologie; PRIF)
- Joanna Karolina Malinowska (Wissenschaftsphilosophie, Adam-Mickiewicz-Universität Posen)
- Phila Msimang (Wissenschaftsphilosophie, Universität Stellenbosch, Südafrika)
- Malin Wilckens (Geschichte, Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz, Deutschland)
- Paul Wolff Mitchell (Biologische Anthropologie und Geschichte, Universität Amsterdam, Niederlande)
Jonatan Kurzwelly ist PI dieser Forschungsgruppe.
Publikationen
- Bones of Injustice: Political Frictions in Restitutions of Human Remains from Colonial Contexts
| 2025
Kurzwelly, Jonatan; Malinowska, Joanna Karolina; Msimang, Phila M.; Wilckens, Malin S.; Wolff Mitchell, Paul (2025): Bones of Injustice: Political Frictions in Restitutions of Human Remains from Colonial Contexts, PRIF Blog.
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