Jonas Wolff, Antonia Witt, Jens Stappenbeck, Simone Schnabel, Anton Peez, Julian Junk, Melanie Coni-Zimmer, Ben Christian, Sophia Birchinger, Felix S. Bethke

Frieden und Entwicklung 2020

Eine Analyse aktueller Erfahrungen und Erkenntnisse

Kurzbeschreibung

Entwicklungszusammenarbeit (EZ) findet zunehmend in von Gewaltkonflikten betroffenen Staaten statt. Mit der Ausbreitung und Verschärfung von Konflikten wachsen auch die Erwartungen an die EZ, zu konstruktiver Konfliktbearbeitung beizutragen. Gleichzeitig sieht sich die EZ damit konfrontiert, dass das gegenwärtige Konfliktgeschehen über Jahrzehnte erreichte Entwicklungsfortschritte akut gefährdet.

Der Nexus zwischen Entwicklung und Frieden ist nicht nur für den globalen Süden von zentraler Bedeutung, sondern auch für die Länder des globalen Nordens. Sie tragen maßgeblich zur Gestaltung des Verhältnisses von Entwicklung und Frieden bei und sind in zunehmendem Maße auch selbst von der Kehrseite dieses Zusammenhangs betroffen: der wechselseitigen Verschärfung von Gewaltkonflikten und Entwicklungsrückschritten. Das Wissen über das genaue Zusammenspiel von Entwicklungs- und Friedensdynamiken ist allerdings nach wie vor begrenzt. Die jüngeren Erfahrungen aus der EZ-Praxis an der Schnittstelle von Frieden und Entwicklung harren ihrerseits einer systematischen Auswertung.
Vor diesem Hintergrund arbeitet der vorliegende Bericht den Wissensstand zum Nexus zwischen Entwicklung und Frieden auf. Er analysiert aktuelle Entwicklungen, Erfahrungen und Herausforderungen und leitet daraus praxisorientierte Empfehlungen für die deutsche und internationale EZ ab. Der Bericht wurde im Rahmen eines Ressortforschungsvorhabens für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erstellt. Methodisch stützt sich die Analyse auf 30 Interviews mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Weltregionen und ergänzt diese auf Basis einer Auswertung von Policy-Dokumenten und der einschlägigen Forschungsliteratur.

Drei globale Trends prägen aktuell das Zusammenspiel von Frieden(-sförderung) und Entwicklung(-szusammenarbeit): Erstens heben die interviewten Expert.innen eine weltweite Welle innergesellschaftlicher Transformationen und hier insbesondere zwei Phänomene hervor: einen autoritären backlash und neue Protestdynamiken. Zweitens werden Veränderungen der Umweltbedingungen und hier insbesondere der Klimawandel und damit zusammenhängende Ressourcenkonflikte als zentrale Herausforderungen identifiziert. Drittens sind aktuell weltpolitische Machtverschiebungen zu beobachten, die einen vermeintlichen Abstieg des „Westens“ und den gleichzeitigen Bedeutungszuwachs nicht-westlicher Akteure beinhalten. Mit allen drei Trends verändern sich die Rahmenbedingungen, unter denen das internationale Engagement zum Entwicklungs-Frieden-Nexus operiert.

Die Analyse bestätigt grundsätzlich den positiven Zusammenhang zwischen Entwicklung und Frieden und präzisiert ihn dahingehend, dass Inklusion die zentrale Brücke zwischen beiden darstellt. Zugleich erweisen sich die Zusammenhänge zwischen Entwicklungs- und Friedensprozessen allerdings als komplex, mitunter widersprüchlich und keiner linearen Logik folgend. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die aktuell zu beobachtende Engführung in der politischen Debatte, die den Entwicklungs-Frieden-Nexus primär im Sinne einer reaktiven Stabilisierung sozialer und politischer Verhältnisse versteht – mit negativen Folgen für eine nexus-orientierte Friedensentwicklungspolitik.

Die Empfehlungen des Berichts betreffen zwei übergreifende Themen:

  1. Wer den Entwicklungs-Frieden-Nexus ernst nehmen will, ist gut beraten, Friedensentwicklung als Transformationsprojekt zu verstehen. Eine nexus-orientierte EZ sollte deshalb auf die flexible Unterstützung langfristiger Transformationsprozesse ausgerichtet sein. Das verlangt Risikobewusstsein und Risikobereitschaft und setzt hohe kontext-spezifische Analysefähigkeiten und -kapazitäten voraus.
  2. Etablierte Ziele und Strategien müssen konsequent umgesetzt werden. In der Summe leidet das internationale Engagement in der Friedensentwicklung weniger an einem Erkenntnis- als an einem Implementationsdefizit. Dies betrifft erstens das Primat der Prävention, dessen Umsetzung entsprechender strategischer Weichenstellungen, konkreter Zielsetzungen und ausreichender finanzieller Mittel bedarf. Ein zweites zentrales Postulat betrifft ein uraltes Thema der EZ: die Kohärenz. Sie gilt es auf allen Ebenen herzustellen (aufseiten des Geberlandes, international und „on the ground“ in von Konflikten betroffenen Staaten). Das verlangt neue organisatorische Designs und institutionelle Veränderungen, um die wohlfeile Maxime der Kohärenz ernsthaft mit Leben zu füllen.

Die Komplexität des Zusammenspiels von Entwicklungs- und Friedensprozessen verschließt sich einfachen und kurzfristigen Lösungen. Auch und gerade in Konfliktkontexten bedarf EZ der Nachhaltigkeit und der Langfristigkeit – verlangt hier aber zugleich nach mehr Flexibilität.

Bibliographische Angaben

Wolff, Jonas / Witt, Antonia / Stappenbeck, Jens / Schnabel, Simone / Peez, Anton / Junk, Julian / Coni-Zimmer, Melanie / Christian, Ben / Birchinger, Sophia / Bethke, Felix S. (2020): Frieden und Entwicklung 2020. Eine Analyse aktueller Erfahrungen und Erkenntnisse.

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