Aberkennung des Hessischen Friedenspreises 2019
Das Kuratorium der Albert-Osswald-Stiftung hat im Dezember 2021 beschlossen, dem äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed den ihm 2019 verliehenen Hessischen Friedenspreis abzuerkennen. Das Kuratorium begründete seine Entscheidung, die im Rahmen der Pressekonferenz zum Hessischen Friedenspreis 2022 öffentlich wurde, mit dem Konflikt in der äthiopischen Provinz Tigray. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Preises, dass das Kuratorium eine solche Entscheidung getroffen hat.
Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed erhielt 2019 zunächst den Hessischen Friedenspreis und später den Friedensnobelpreis für seinen Einsatz für einen historischen Friedensschluss mit dem Nachbarland Eritrea 2018 nach einem zwei Jahrzehnte andauernden Konflikt sowie auch seine innenpolitischen Reformbemühungen für eine Liberalisierung des Landes. Der Bürgerkrieg in der Tigray-Region im Norden des Landes begann im November 2020. Durch Friedensverhandlungen konnte im Herbst 2022 ein Waffenstillstand erreicht werden. Während des Konflikts trug die von Abiy Ahmed geführte äthiopische Regierung durch ihre Politik eine Mitverantwortung für die Eskalation der Gewalt, die mit schwersten Menschenrechtsverletzungen einherging.
Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien
Das Kuratorium verfolgte das Konfliktgeschehen in der Tigray-Region seit Ausbruch im November 2020 mit großer Aufmerksamkeit, wenn gleich der Zugang zu Informationen in dem andauernden Konflikt auch für die im Kuratorium vertretenen Forschungseinrichtungen erschwert war. Im Dezember 2021 entschied der Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen auf Initiative der Europäischen Union, eine Untersuchungskommission zur Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen in der Region einzusetzen. Dieser Beschluss des Menschenrechtsrats basierte auf gesicherten Erkenntnissen über schwerste Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch alle Konfliktparteien.
Begründung für die Aberkennung
Der Hessische Friedenspreis wird für Leistungen oder Bemühungen vergeben, die in der Vergangenheit liegen, die aber mit Hoffnungen und Erwartungen verbunden sind, die in die Zukunft reichen. Die Preisverleihung an den äthiopischen Ministerpräsidenten 2019 war mit der Hoffnung verknüpft, er würde seine Bemühungen um den Frieden auf dem afrikanischen Kontinent zukünftig fortsetzen und die Liberalisierung Äthiopiens vorantreiben. Es entspricht der Idee des Preises, nicht nur die Bemühungen um einen negativen Frieden und die Abwesenheit von Gewalt zu würdigen, sondern das Engagement um einen positiven Frieden anzuerkennen, der die Förderung von Menschenrechten, Versöhnung und die Aufarbeitung von Unrecht vorantreibt. Die äthiopische Regierung unter Ministerpräsident Ahmed leistete 2020 und 2021 keinen Beitrag zum Frieden, sondern erwies sich nach Auffassung des Kuratoriums als Teil der eskalierenden Gewalt. Der Reformkurs des Landes wurde durch eine Rückkehr zu einem autoritären Regierungsstil revidiert. Dies untergräbt die Absichten, mit denen der Preis verliehen wurde, und begründet die Entscheidung, den Preis abzuerkennen. Die Entscheidung des Kuratoriums zielt darauf ab, den Preis sowie die bisherigen und zukünftigen Preisträger:innen zu schützen. Eine Rückforderung des mit der Auszeichnung verbundenen Preisgeldes erfolgt nicht.
Hessischer Friedenspreis 2019: Abiy Ahmed

Am 23. September 2019 erhielt der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali den Hessischen Friedenspreis für seinen herausragenden Einsatz für einen historischen Friedensschluss mit Eritrea. Ein 20 Jahre dauernder Konflikt, der mehr als 100.000 Menschen das Leben gekostet hat und auch in den vergangenen Jahren immer wieder aufgeflammt ist, scheint zu einem friedlichen Ende zu kommen. Ein Versöhnungsprozess zwischen den beiden Staaten birgt Chancen für die Gesellschaften beider Staaten und die Region Ostafrika. Diese bedeutenden Entwicklungen und die daraus entstehenden Chancen für eine friedliche Zukunft sind es wert, ausgezeichnet zu werden. „Abiy Ahmed Ali ist einer der großen Hoffnungsträger auf dem Afrikanischen Kontinent. Wir wollen sein Engagement für den Frieden mit dem Hessischen Friedenspreis auszeichnen und zugleich weiter befördern“, so Nicole Deitelhoff, Leiterin der HSFK und Kuratoriumsmitglied.
Der Friedensschluss und eine darauf aufbauende Versöhnung der beiden Nachbarstaaten wecken Hoffnungen auf eine Stabilisierung der ganzen Region. Auch innenpolitisch sind die von Abiy Ahmed Ali eingeleiteten Veränderungen bemerkenswert: Seitdem Kaiser Haile Selassie im Jahr 1974 gestürzt worden war, gab es keinen Regierungswechsel im Land ohne Blutvergießen. Die seit 1991 regierende Einheitspartei „Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker“ (EPRDF) ist eng mit dem äthiopischen Staat verwoben, kontrolliert alle Ebenen des föderalen Systems und hat immer wieder auf Repression gesetzt. Auch Abiys Regierung wird von dieser Koalition getragen, hat aber in den letzten anderthalb Jahren bedeutende Fortschritte in der politischen und wirtschaftlichen Liberalisierung des Landes erzielt. Die in Folge der Verleihung des Hessischen Friedenspreises gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit könnte als Mahnung wirken, nun nicht innezuhalten, sondern diese innenpolitischen Reformen weiter friedlich und integrativ voranzutreiben.
Abiy Ahmed Ali, geboren 1976 im äthiopischen Beshasha, wurde im April 2018 zum Ministerpräsidenten Äthiopiens ernannt. Er gehört der ethnischen Gruppe der Oromo an, die sich lange als marginalisiert im politischen System Äthiopiens wahrgenommen haben. Er ist der erste Oromo, der Ministerpräsident wurde. Der ehemalige Soldat der äthiopischen Armee hat Computer- und Kommunikationstechnik, Kryptographie, Transformational Leadership und Business Administration studiert und 2017 den Doktorgrad in Management and Leadership von der University of Addis Abeba erhalten. Er diente unter anderem im eritreisch-äthiopischen Grenzkrieg von 1998 bis 2000. Von 2007 bis 2010 war er stellvertretender Direktor der Information Network Security Agency (INSA), einer geheimdienstlichen Behörde, die die Telekommunikation und das Internet in Äthiopien überwacht.
Seit 2010 ist er Mitglied des äthiopischen Parlaments, von 2015 bis 2016 war er Wissenschaftsminister des Landes. Er gehört der politischen Fraktion der „Demokratischen Organisation des Oromovolkes“ (OPDO) an, die Teil der regierenden Einheitspartei EPRDF ist. Seit März 2018 ist er Vorsitzender der EPRDF. Mit 42 Jahren ist er der jüngste Regierungschef Afrikas.
Stellvertretend für Abiy Ahmed nahm Muferihat Kamil, die äthiopische Friedensministerin, den Preis im Hessischen Landtag in Wiesbaden entgegen. Volker Bouffier hielt die Laudatio.
Berichterstattung des Hessischen Rundfunks zur Preisverleihung
Alle Reden der Preisverleihung im Wortlaut
25 Jahre Hessischer Friedenspreis - Podcast