Leben, um sich an einem anderen Tag zu bekämpfen: Die Beziehungen zwischen bewaffneten Gruppen in Mehrparteien-Bürgerkriegen

Mehrparteien-Bürger­kriege werden oft als Zonen der Anarchie dargestellt, in denen sich zahlreiche Akteure mit unter­schiedlichen Loyalitäten und Zielen in einem Hobbes­schen Krieg aller gegen alle bekämpfen. Die blutigen Bürger­kriege in der Demo­kratischen Republik Kongo, im Sudan, in Afghanistan und im Jemen sind hier zu nennen. Im Einklang mit diesem vorherr­schenden Verständnis der internen Dynamiken von Bürger­kriegen haben gewalt­same Konflikte zwischen Rebellen­gruppen in den letzten Jahren verstärkte Aufmerk­samkeit erhalten. Laut den vorhandenen Erklärungen müssten gewalt­same Konflikte zwischen Rebellen­gruppen öfter vorkommen, als sie es eigentlich tun, während entscheidende zeitliche, räumliche und akteurs­bezogene Faktoren unerklärt bleiben. Darüber hinaus wurden Macht­kämpfe, ebenso wie Fragmen­tierung, meist in Bezug auf ko-ethnische Gruppen untersucht, so dass offen bleibt, wie sich die Erkennt­nisse aus dieser Literatur auf Gruppen übertragen lassen, die auf ideo­logischer Basis mobilisieren. Schließlich werden die größeren Beziehungen zwischen Gruppen, die spezi­fischen Inter­aktionen voraus­gehen und die Merkmale gewaltsamer Konflikte prägen, in dieser Literatur meist nicht berück­sichtigt. 

Auf der anderen Seite verwenden Wissenschaftler*innen aus dem „koope­rativen Lager“ sehr dünne Konzeptua­lisierungen von Allianzen, die sich auf den militärischen Bereich beschränken. Dabei wird übersehen, dass bewaffnete Gruppen häufig auch Institutionen außerhalb dieses Bereichs gründen, wie z. B. Governance Institutionen oder Dach­organisationen, oder einfach nur Verein­barungen treffen, um ihre täglichen Angelegen­heiten zu regeln.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, fehlt bislang ein integrierter Ansatz, der die Zusammen­hänge und Variationen zwischen Konflikten und Kooperation zwischen Rebellen­gruppen erklärt. Es ist kein Zufall, dass sich die meisten Beiträge auf eines der beiden Phänomene beschränken, anstatt zu versuchen, sie in ein größeres Modell einzubinden, das beide erklärt. Auf diese Weise werden unange­nehme konzep­tionelle Fragen umgangen, wie z. B. die nach Faktoren, die sowohl gewaltsame Konflikte als auch Zusammen­arbeit erklären könnten (z. B. gemeinsame Identität).

Das Projekt stellt die bestehenden Ansichten über Kooperation und Konflikt zwischen Rebellen­gruppen in Frage, indem es den syrischen Bürger­krieg eingehend analysiert und vergleichende Belege für Mehrparteien-Bürger­kriege weltweit und über historische Zeit­räume hinweg liefert. Durch die Kombination eines theorie­bildenden und eines theorie­prüfenden Ansatzes erklären das Projekt und das begleitende Buch­manuskript, wie es Gruppen gelingt, in unter­schiedlichem Maße zu kooperieren und wie diese Kooperation aussieht. Das Manuskript erklärt auch, warum manche Beziehungen in manchen Bürger­kriegen entstehen und in anderen nicht; und warum manche Beziehungen andauern, während andere nach kurzer Zeit enden. Vor allem aber erklärt das Buch, warum es einigen bewaffneten Gruppen gelingt, in einem beein­druckenden Ausmaß zu kooperieren, während andere Beziehungen schon nach kurzer Zeit zerbrechen.

Das Buch­manuskript, das auf der Dissertation der Projekt­leiterin basiert, stellt eine neue Typologie der Beziehungen zwischen bewaffneten Gruppen in Mehrparteien-Bürger­kriegen vor und zeichnet die Entstehung, Stabilisierung und schließlich den Zusammen­bruch oder die Transformation von drei Idealtypen von Beziehungen zwischen bewaffneten Gruppen in Mehrparteien-Bürger­kriegen nach: Alignment, Koalition und Partnerschaft. Jeder dieser Typen ist durch unter­schiedliche Interaktions­muster (Kooperation, Konflikt und Konflikt­management) zwischen bewaffneten Gruppen gekenn­zeichnet. Auch die Art der Gewalt zwischen den Rebellen variiert je nach Typ. Sie wird durch den Grad der Institutio­nalisierung der Zusammen­arbeit strukturiert und begrenzt, wodurch Ordnungen geschaffen werden, die darauf abzielen, kontra­produktive Gewalt einzuhegen.

Zur Unter­mauerung der Argu­mentation stützt sich das Buch auf eine Reihe von Belegen, die tiefe Einblicke in einen Einzelfall mit einer Analyse breiterer Muster verbinden: rund 90 Interviews in arabischer Sprache mit Teilnehmern am syrischen Aufstand; Tausende von Primär­dokumenten; Daten zu Waffenstillstands- und Friedens­abkommen zwischen syrischen Rebellen­gruppen; eine Datenbank mit Militär­operationen im syrischen Bürgerkrieg seit 2011; und strukturierte Vergleiche zwischen den Beziehungen zwischen bewaffneten Gruppen in Bürger­kriegen in Angola, Äthiopien, den Philippinen, Irak und Myanmar.

Projektleitung:
1
Competitive Rebel Governance in Syria | 2023

Schwab, Regine (2023): Competitive Rebel Governance in Syria, in: Fraihat, Ibrahim; Alijla, Abdalhadi (ed.), Rebel Governance in the Middle East, Singapore: Palgrave Macmillan, 117-150.

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2
Same same but different? Ideological differentiation and intra-jihadist competition in the Syrian civil war | 2023

Schwab, Regine (2023): Same same but different? Ideological differentiation and intra-jihadist competition in the Syrian civil war, in: Journal of Global Security Studies, 1-20, DOI: 10.1093/jogss/ogac045.

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3
Who owns the law?: Logics of Insurgent Courts in the Syrian War (2012-2017) | 2022

Schwab, Regine / Massoud, Samer (2022): Who owns the law?: Logics of Insurgent Courts in the Syrian War (2012-2017), in: Gani, Jasmine K./Hinnebusch, Raymond (eds), Actors and Dynamics in the Syrian Conflict's Middle Phase: Between Contentious Politics, Militarization and Regime Resilience, London: Routledge, 164–181, https://doi.org/10.4324/9781003254904.

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4
Escalate or Negotiate? Constraint and Rebel Strategic Choices Towards Rivals in the Syrian Civil War | 2021

Schwab, Regine (2021): Escalate or Negotiate? Constraint and Rebel Strategic Choices Towards Rivals in the Syrian Civil War, in: Terrorism and Political Violence, 1–20, DOI: 10.1080/09546553.2021.1998007.

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5
Insurgent courts in civil wars: the three pathways of (trans)formation in today’s Syria (2012–2017) | 2018

Schwab, Regine (2018): Insurgent courts in civil wars: the three pathways of (trans)formation in today’s Syria (2012–2017), in: Small Wars & Insurgencies, 29:4, 801–826, DOI: 10.1080/09592318.2018.1497290.

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