In Deutschland diente Russland häufig als eine Projektionsfläche besonderer Art. In einer langen ideengeschichtlichen Tradition wurde und wird eine Seelenverwandtschaft beschworen oder eine gemeinsame Frontstellung gegen den Westen und besonders gegen die USA phantasiert. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich diese Haltung in einem Teil der Bevölkerung verfestigt. Sie geht mit Verschwörungsmythen einher und fordert, dass man Russland (und Putin) nicht verteufeln dürfe, sondern verstehen und seine Sicherheits- und Machtinteressen respektieren müsse. Dagegen sind im anderen Teil der Bevölkerung Illusionen über eine kooperative Partnerschaft mit Russland zerstoben. Putins Politik wird als revisionistisch und imperialistisch begriffen. Hinter beiden Vorstellungen stecken politische und psychologische Komplexe von Unter- bzw. Überlegenheit.
In dieser Veranstaltung wollen wir die Traditionen und Kontinuitäten deutscher Russland-Vorstellungen darstellen und reflektieren, ebenso die – nicht allein von der SPD verfolgten – besonderen Beziehungen Deutschlands zu Russland. Diesen wurde das Emanzipationsstreben der osteuropäischen Staaten, inzwischen großenteils Mitglieder der EU und der NATO, lange Zeit untergeordnet. Das hat sich mit Blick auf die Energiepolitik als fatal erwiesen. Und allzu lange wurde die Existenz der Ukraine als Staat und Nation – wie in Putins großrussischem Narrativ – ignoriert oder gar, wie von Helmut Schmidt, geleugnet.
Über die komplizierte Gemengelage des deutschen Russland-Komplexes wollen wir mit ausgewiesenen Experten diskutieren, die dazu brandaktuelle Publikationen veröffentlicht haben.
Diskussion mit:
- Reinhard Bingener, FAZ-Korrespondent, Co-Autor von „Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit“
- Gerd Koenen, Publizist und Historiker, Autor von „Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten“
- Viola von Cramon, MdEP, Mitglied im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten (AFET) und der Delegation im Parlamentarischen Assoziationsausschuss EU-Ukraine, Brüssel
Moderation:
- Bruno Schoch, Assoziierter Forscher an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)
Wann: Donnerstag, 01. Juni 2023, 19:00 Uhr
Wo: Ökohaus, Kasseler Straße 1a, Frankfurt/M. & live auf dem Youtube-Kanal der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen
Weitere Informationen finden sich auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen.